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Stimmen eines Chors: Das Internationale Ensemble Ruppertshain

Salomé, Lilly und Aylin

Filmstill, "Internationalen Ensemble Ruppertshain" unter der Leitung von Dzuna Kalnina-Nitzling zu einer Ausstellungseröffnung in Kelkheim. © Privat
Das "Internationalen Ensemble Ruppertshain" unter der Leitung von Dzuna Kalnina-Nitzling bei einer Ausstellungseröffnung in Kelkheim 2019. Film Still © Privat

 

Vor drei Jahren wurde die Mezzosopranistin und Pianistin Dzuna Kalnina von einer Nachbarin aus Eritrea angeregt, einen Chor mit Menschen aus einem Geflüchtetenheim in Ruppertshain zu übernehmen. Heute singen und musizieren im Internationalen Ensemble Ruppertshain Einheimische und Geflüchtete gemeinsam unter ihrer Leitung. Die Sänger*innen im Exil kommen aus Afghanistan, Äthiopien, Eritrea, dem Irak, dem Iran, Kirgistan, der Türkei und weiteren Ländern. Im Chor geht es aber nicht nur um Musik: Die Sänger*innen tauschen sich über ihre kulturellen Hintergründe aus, sie sprechen über Poesie und Liedgut. Gemeinsam erarbeiten die Menschen aller Generationen im Chor die Farbe der Lieder, die sie zum Beispiel auf Eritreisch oder auf Persisch singen.

In unserem Podcast erzählt Dzuna Kalnina die Geschichte der Entstehung des Chores. Drei der Sänger*innen haben in Gesprächen über ihre traumatischen Diktaturerfahrungen berichtet, sie wurden stichwortartig notiert und behutsam von uns bearbeitet.

 

Salomé aus Eritrea

Schlimm: Nie ungestört zur Schule oder zur Großmutter. Salomé musste bis vier Uhr nachmittags zu Hause sein, weil es schnell dunkel und kalt wurde. Bei der Großmutter in der Nähe wohnten Soldaten, die Salomé als Kind verfolgten und bedrohten.

Gut war, dass die Großmutter Schlimmeres verhindern konnte.

Flucht von zu Hause in eine andere Gegend, als heftige Kämpfe ausbrachen. Erlebt, wie Menschen in der Nähe getötet wurden.

Diese Erinnerungen bleiben für immer.

Frei werden: Der Onkel war in Deutschland und holte Salomé hierher.

Geruch: Geröstetes Getreide (Gerste), zu Brei verarbeitet, erinnert an die gefährlichen Erlebnisse. Salomé mag es deshalb nicht mehr.

Geräusche: Heulen von Geschossen und Knallen der Explosionen.

Folgen: Heute noch schaut sie sich oft um, wenn sie alleine läuft.

Reden: Es war nicht möglich, frei zu reden.

Razzien: Unregelmäßig wurden Wohnungen streng kontrolliert. Danach musste alles wieder aufgeräumt werden.

Deutschland: Freiheit, alles tun zu können.

 

Lilly aus Äthiopien

Sehr viel Unterdrückung von Frauen. Immer früh zu Hause sein, bevor es dunkel wird. Sehr wenig zu essen. Hungersnöte.

Wenn ein Junge mit zusammengewachsenen Augenbrauen geboren wird, besteht die Gefahr, dass man ihn umbringt. Ein Aberglaube.

Sperrstunden waren üblich. Ab neun Uhr abends durfte niemand mehr draußen sein. Sonst wurde man erschossen. Im Dorf lagen oft tote Menschen auf den Wegen. Sie durften nicht berührt werden.

Eine Frau gilt nicht viel. Witwen mussten zwangsweise nahe Verwandte heiraten und den ganzen Haushalt führen.

Es gibt viele verschiedene Volksgruppen, die sich nicht vertragen und gegenseitig bekriegen. Grausame Soldaten quälen und vergewaltigen Frauen.

Flucht: Durch mehrere Länder, zum Teil zu Fuß. Immer hungrig.

 

Aylin (Kurdin) aus Diyarbakır in der Türkei

Bis zu ihrem elften Lebensjahr lebte Aylin in der Türkei. Sie erinnert sich, dass sie während des viertägigen Zuckerfestes nach dem Fastenmonat Ramadan die Großeltern besuchten und zu den Gräbern gingen; an den Türen sammelten sie Zucker.

In der Stadt leben fast nur Kurden. Daher hatte sie keine Probleme in der Schule. Die Kurden untereinander verstehen sich und halten zusammen. Probleme gibt es wegen gewaltbereiter Kurden. Es wird aber durch die türkische Regierung kein Unterschied gemacht.

Die Polizei kam eines Tages und die Familie musste das Land verlassen. Die Unifomierten jagten ihr Angst ein. Sie wollte nicht fort und wünschte sich, es sei ein Traum. Sie mussten innerhalb einer halben Stunde alles einpacken. Polizei und Soldaten haben Computer und Telefone beschlagnahmt oder zerstört – warum, das weiß sie nicht.

Es gibt viele schöne Erinnerungen. Samstag oder Sonntag wurde die Oma besucht. Sie kochten und spielten zusammen.

Es gab viele Verwandte – so viele, dass sie nicht einmal alle kennt.

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