Ongoing (Fortlaufend)
Sulafa Hijazi
Ich bin in einer militarisierten Gesellschaft aufgewachsen. In der Schule trugen wir Armeeuniformen und lernten unter dem Vorwand, wir würden eines Tages dem „Feind“ gegenüberstehen, mit Waffen umzugehen. Das syrische Regime hat uns von frühester Kindheit an in den Dienst der Militärmaschinerie gestellt. Wir wurden zu Werkzeugen der Unterdrückung durch das Regime.
In einer meiner Illustrationen aus der Serie „Ongoing“ versuche ich, das zu reflektieren. Sie stellt eine Nähmaschine dar, die einen Menschen als Faden benutzt (Abb. 1). Eine andere zeigt Kinder, die auf dem Rücken von Soldaten reiten; es ist ihre Art, sich für ihre gestohlene Kindheit zu rächen (Abb. 2). In einem anderen Bild versuchen sie die Werkzeuge der Unterdrückung und die Waffen des Krieges zu essen (Abb. 3).
Meine Kunst thematisiert den Kreislauf der Gewalt in der syrischen Gesellschaft. Die repressive Gewalt des Staates hat gewalttätigen Protest gegen ihn hervorgerufen. Die Menschen sind in Schulen, in Bussen, auf der Straße, in Gefängnissen und bei Demonstrationen so brutaler Gewalt ausgesetzt, dass ihre normale Reaktion Aggression ist, die sich in unterschiedlichen Formen zeigt: religiöse Radikalisierung, Banden- und Bürgerkrieg.
Dieser Kreislauf der Gewalt liefert dem Regime einen Vorwand, Menschen zu ermorden. Er hält die Eliten an der Macht und zerstört effektiv die Gesellschaft. Er funktioniert wie das Rad in einer meiner Illustrationen (Abb. 4), wo Soldaten aufeinander schießen. Das Konzept der zyklischen Gewalt ist eines von vielen, mit denen ich mich unbewusst auseinandergesetzt habe, während ich die Revolution in Syrien erlebte.
Bevor ich Syrien 2012 verließ, hatten wir große Hoffnung, unser Land mit friedlichen Mitteln verändern zu können. Der Raum dafür existierte noch in unserer Gesellschaft. Dann wurde es gewalttätig; das Regime begann, Aktivist*innen (darunter auch Mitglieder meiner Familie und Freund*innen) zu verhaften und aus dem Land zu vertreiben oder die Bedingungen für sie so unerträglich zu machen, dass ihnen nichts weiter übrigblieb, als zu fliehen. Es gibt immer noch viele mutige Menschen, die im Land geblieben sind, aber es werden immer weniger, und der Klang der Waffen übertönt die Stimmen des friedlichen Aktivismus.
Die Verbindung von Leben und Tod fasziniert mich: Plötzlich wurde der Tod in Syrien zur Normalität und unter den Menschen, die Angehörige verloren hatten, zu einer Selbstverständlichkeit; wir gewöhnten uns daran, die vielen Toten einfach als Zahl zu betrachten. Ich habe versucht, den Kontrast zwischen Leben und Tod in der Abbildung einer schwangeren Waffe (Abb. 5) und in der eines Brautpaares mit Gasmasken zum Schutz vor chemischen Waffen (Abb. 6) zu reflektieren.
Ich habe auch über den Einfluss von Männlichkeit auf das Töten, auf Macht, Diktatur und Herrschaft nachgedacht. Ich glaube, wenn Frauen die Welt regieren würden, gäbe es keine Kriege mehr. Menschen, die Kinder zur Welt bringen, kennen den Sinn des Lebens. Einige der Illustrationen – der Mann, der eine Waffe zur Welt bringt (Abb. 7), oder der Mann, der masturbiert (Abb. 8) – vermitteln diese Gedanken.
Ich habe während der Revolution widersprüchliche Gefühle erlebt – eine Mischung aus Angst, Mut, Hoffnung, Schmerz, Schuld, Schwäche und Entfremdung. In den letzten zwei Jahren, die ich in Syrien verbracht habe, war das Zeichnen das einzige Mittel, mit dem ich – über soziale Netzwerke – all diese Gefühle mit Menschen innerhalb und außerhalb des Landes teilen konnte. Das Bild des Mannes, der versucht, sich von einem Massaker fernzuhalten (Abb. 9), spiegelt diese Zeit wider; er hat gerade erst verstanden, was geschehen ist, und spürt nun nichts als Hoffnungslosigkeit und Schmerz.
Ich habe absichtlich keine Bilder des Präsidenten oder Elemente, die sich speziell auf Syrien beziehen, in die Serie aufgenommen. Ich wollte, dass meine Kunst verschiedene Konfliktsituationen und die damit einhergehenden humanitären Probleme thematisiert. Nichtsdestotrotz sind die Illustrationen aus meinen Erfahrungen in Syrien gespeist und ich betone in den Illustrationen einen besonderen Aspekt meiner Identität: die blassen Farbtöne, die in meiner Stadt präsent waren. Diese tristen Farben stammen aus dem sozialistischen Regime meiner Jugend.
Für meine Filme, zumeist Zeichentrickfilme, arbeite ich mit anderen an Konzepten für das Charakterdesign, also die visuelle Darstellung der Entwicklung der Charaktere. Für „Ongoing“ habe ich eine Animationssoftware, einen Digitalisierer, verwendet. Es war nicht einfach, diese Illustrationen in Syrien zu machen. Ich wusste, dass die Behörden jederzeit in mein Haus kommen und verlangen konnten, zu sehen, woran ich arbeitete. Die digitale Kunst ist sicherer als andere Kunstformen – man kann die Dateien auf seinem Computer verstecken und sie bei Gefahr einfach löschen.
Nach zwei intensiven Jahren eines solchen Konflikts wie dem syrischen braucht man Raum und Zeit, um sich wieder aufzubauen. Als ich mein Land verließ, fühlte sich mein Gedächtnis an wie „abgeschaltet“. Nachdem ich etwa fünf Monate aus Syrien weg war, habe ich begonnen, über die Situation nachzudenken und sie noch einmal zu durchleben. In dieser Zeit fiel es mir schwer zu zeichnen. In Syrien leben die Menschen wie Gefangene in einer riesigen Zelle. Obwohl es uns gelungen ist, aus ihr zu fliehen, stellen wir bald fest, dass wir immer noch drinnen sind (Abb. 10).
Aus dem Englischen von Annett Gröschner
Sulafa Hijazi wurde in Damaskus geboren und lebt als Regisseurin, bildende Künstlerin und Multimediakünstlerin in Berlin. 2011 beteiligte sie sich an der friedlichen Widerstandsbewegung der syrischen Revolution und schuf und veröffentlichte digitale Kunstwerke, die die politische und soziale Unterdrückung kritisieren. Ihre Animations- und Multimediaproduktionen, in denen sie sich zunächst auf Kinder und ihre soziale Entwicklung konzentrierte, sind auf zahlreichen Onlineplattformen sowie auf nationalen und internationalen Festivals zu sehen, ihre Kunstwerke finden sich heute in renommierten Kunstsammlungen – wie dem British Museum in London, der Barjeel Art Foundation in Schardscha (Vereinigte Arabische Emirate) und der Sammlung des International Media Support (IMS) in Kopenhagen.