Der Klang von Beton
Sam Zamrik
Als ich dreizehn war, spielte die Welt verrückt.
Sie sagten mir, es wäre die Pubertät. Aber alle anderen hatten Gewehre und halbzerschlissene Tarnanzüge. Die Leute waren ständig am Brüllen und man wusste nie, warum. Manche schrien immer wieder das Gleiche und manche wurden zum Schweigen gebracht, bevor sie zum Sprechen kamen. Sie hielten Transparente hoch und brüllten weiter; je lauter es wurde, umso lauter wurde geschwiegen.
[Laut]
- Das Volk will das Regime stürzen!
- Freiheit!
- Allah! Syrien! Kommandant und nur …!
- Nur der Prophet hat uns stolz gemacht?
- Kommandant!
Betonblöcke bildeten ein unentrinnbares Labyrinth in der Stadt. Sie zogen sich durch jede Straße und dezimierten jeden Raum. Riesige gepanzerte Fahrzeuge standen an Straßenecken, die Läufe auf den Verkehr gerichtet, Soldaten verstreuten sich, alle in Plastikschlappen, düster und mächtig. Sie schmückten ihre Kalaschnikows mit Aufklebern und Freundschaftsbändern; sie klebten mit Tape zwei Magazine zusammen und ließen den Sicherungshebel offen.
Beton ist voll und geschäftig, sogar wenn er bricht und wenn er fällt. Menschen hingen an den Türen der Busse, die aus dem Verkehrslabyrinth gerast kamen. Auf den meisten Gehwegen konnte man nirgends seinen Fuß ganz absetzen. Auf jeder Straße und an deren Rändern gab es Pfützen und Löcher und kaputte Steine.
Alles war übertrieben laut. Kreischen und Lachen und Platzen und Schreien und Bombardieren und Zurufen und Fluchen und Flirten und Schießen, Blasphemie und Aufwiegelung und Werbung und Fahrräder und Automotoren und Generatoren und Dichtung und Aufbau und Abriss und Krächzen und Gurren und Lügen und Tränen und alles roch nach Schießpulver und Asche. Der Klang von Beton war überall: im Himmel, in den Häusern, in der Dunkelheit, in den Menschen, den Menschen, den verdammten Menschen. Alles machte das andere nach. Alle hatten denselben strengen, sich wiederholenden Takt in sich. Er war in meinem Kinderzimmer, in meinem Essen und in jeder Musik. Andauernd, überall unterwegs – unheilvoll singend. Ded-ded; ded-ded; ded-ded. (Dead-dead, dead-dead)
* Aus dem Englischen von Katy Derbyshire
Sam Zamrik ist in Damaskus/Syrien geboren, ist Lyriker, Übersetzer und Musiker. Er studierte Englische Sprache und Literatur an der Universität Damaskus, wo er „The Poet’s Society“ mitgründete; einen Dichterklub für englisch verfasste Lyrik, der Studierenden einen geschützten Raum für freien Ausdruck bot. Kürzlich hat er als Stipendiat am Bard College Berlin seinen BA in Politik und Literatur erworben, im Herbst 2021 erscheint seine Lyriksammlung „Sophistry of Survival“ im Hanser Berlin Verlag. Zamrik, seit 2016 in Deutschland, ist weiterhin aktives Mitglied der Untergrund-Musikbewegung „New Wave of Syrian Metal“.