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Mein Geruch. Der Geruch des Diktators

Nagham Hayder

Nagham Hayder, Der Geruch des DiktatorsDer Geruch der Diktatur,
© Aman Upadhyay/unsplash

Es gibt keinen Unterschied. Ja. Der Geruch meiner Kindheit ist derselbe Geruch wie der des Diktators. Ich rieche seinen Geruch auf meinen Kinderfotos. An meinem braunen Kittel und dem Halstuch mit dem aufgedruckten Zeichen seiner Partei haftet der Geruch seiner Hände, seiner Arme, womöglich seines Haars. In jeder Komponente der Bilder steckt der Geruch seiner Macht … Der Geruch seines Halses über und unter den Brücken, der Geruch seines Mundes auf den Treppen der Regierungsgebäude, hinauf und hinab, eingebrochen, der Geruch seiner Kleidung in den Straßen. Und der Geruch seines Blutes im Eisen und Zement, mit dem alle Schulen, ja, das ganze Land gebaut wurden.

Mein Kopf hält mich zum Besten wie ein gerissener Parfümverkäufer. Er macht mir vor, ich hätte mich von den Gerüchen der alten Erinnerungen befreit und die Düfte meines Jetzt wären anders. Aber dann, ganz plötzlich, kehrt in bestimmten Situationen hinterrücks eine Mixtur dieser Gerüche zurück. Ich rieche den Diktator auf meiner Haut, sogar nachdem ich allen Schmutz des Tages abgewaschen habe. Sein Geruch ist ein scharfer Befehl, der in mein Innerstes drang und meine Erinnerung erzeugte, bis ich begann mich von ihr loszulösen beziehungsweise versuchte sie zu vergessen. Wie eine ungeheure Selbstverleugnung, um meine eigene Vergangenheit unkenntlich zu machen. Das ist es, was einen ungeheuren Zorn in mir hervorrief.

Und bis heute kann das kleine Mädchen nicht mit einem Sprung aus dem Rahmen dieser Bilder entfliehen.

Essen, 2017

Meine Nachbarin im Erdgeschoss sagte mir, dass sie sich ein bisschen unwohl fühlte. Also ging ich abends in Schlafsachen zu ihr runter, um nach ihr zu sehen. Es war das erste Mal, dass wir uns an ihrer Wohnungstür trafen, denn normalerweise begegneten wir uns unten an der Haustür. Kaum dass sie die Tür geöffnet und mich eingelassen hatte, überfiel mich der Geruch von sehr altem Zigarettenrauch, der sich zwischen Möbeln, Wänden und Vorhängen in der Wohnung eingenistet hatte. Nachdem wir ein wenig gesprochen und ich mich schließlich verabschiedet hatte, konnte ich den Geruch ihrer Wohnung noch immer an meinem Pyjama riechen. Schwer. Aufdringlich. Die Sinne durchsetzend.

Jener Rauch, eingesperrt und vermischt mit dem Geruch zusammengedrängter Körper, erinnerte mich an die Regierungsbehörden, wo ein Geruch wie dieser seinen Zenit fand. – In jener Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich erinnerte mich an das letzte Bild in meinem Kopf vom Amt für Auswanderung und Pässe und dessen erstem Stockwerk. Es hatte die Form eines engen Kreises, um den herum die Büros der Beamten lagen, nur von Glas geschützt. An diesem Ort gab es keinerlei Luftloch. Und wir waren viele, die anderen Wartenden und ich, unsere Hände mit den Zetteln ausgestreckt. Die bittenden Stimmen gingen unter zwischen Befehlen und Beleidigungen. Die Leute kamen zusammen und ballten sich ohne Ordnung und Reihenfolge. Ich erinnerte mich an unser verzweifeltes Gedränge hinter den Tischen der Beamten.

Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her und erinnerte mich an die Blicke der Leute dort, die alles wahrnahmen, aber nichts sagten, und die Hände, die sich immer weiter und weiter von unseren Körpern wegstrecken wollten. An die Hände, voll mit Zetteln, und die viereckigen Bilder, zurechtgeschnitten, wie es gerade passte. Wir alle hielten Passbilder in der Hand, auf denen wir nicht lächelten. Weder runzelten wir die Stirn noch schauten wir überrascht noch sah man Schmerz oder Klage. Kein Weinen, keine Angst. Auf den Bildern waren wir wie versteinert. Hätte jemand es geschafft, uns von der Decke aus zu betrachten, hätte er uns wohl als Menschen ohne Gesichter, die ihre Bilder halten, beschrieben. Ich erinnerte mich, wie ich mühsam vorrückte und dann die Treppen zum zweiten und dritten Stock hinaufging, um die restlichen Unterlagen unterzeichnen zu lassen. Manche Leute warteten dort auf den engen Treppen, andere eilten wie ich schleunigst nach oben. Wir gehen fort, ihr Treppen, ihr dreckigen Wände und Toiletten, deren Gestank den ganzen Ort erfüllt. Wir wollen uns von dir befreien, Geruch, und von dir, Dunst der Korruption. Jeder von uns hielt viele Zettel in der Hand. Wir hatten alle notwendigen Nachweise und Dokumente vorbereitet und hasteten mit ihnen los, um jede Verbindung von uns mit diesem Ort zu kappen. Dachten wir daran, dass wir um Unterschriften und Stempel für die Dokumente unseres Verschwindens baten? Dass der Erhalt all dieser Unterschriften nichts als eine erneute Löschung unserer Gesichter bedeutete? Ich verließ das Amt für Auswanderung und Pässe mit dem Pass für mein Verschwinden. Der Geruch jenes Ortes jedoch wird weder verschwinden noch sich auflösen.

Meiner Nachbarin würde nie in den Sinn kommen, dass der Anblick ihrer kleinen Wohnung, der Zigarettengeruch und das Gedränge darin mich an jenen Ort zurückbrachten. Zum Geruch meiner Kindheit und Jugend und meines ungeheuren Zorns.

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