Die raue Stimme

Dima Al-Bitar Kalaji

Schhhhhhhh! Seid leise!

Echo:

Einundzwanzig Jahre sind seit Hafiz al-Assads Tod vergangen. Doch noch heute ertappe ich mich dabei, wie ich, gegen meinen inneren Widerstand, meine Stimme unwillkürlich senke, wenn sein Name genannt wird, wie mein Herz zu rasen beginnt, wenn ich seine raue Stimme höre.

„Die Wände haben Ohren“, alle Wände sind Ohren und Augen. Das lernen wir schon als Kinder, und wir hören und sehen uns selbst nicht, außer durch die Ohren und Augen der anderen, bis wir im Innern zu den Augen und Ohren der anderen werden und uns ohne sie nicht mehr erkennen.

Ohne uns dessen bewusst zu sein, senken wir unsere Stimmen bei jedem Gespräch mit politischem Anklang, auch wenn es nur um ein Gerücht geht, einen Betrug oder einen Witz.

Schhhhhhh! Seid leise!

In jedem Gebäude Berlins wohnt ein Feldwebel, der über die Geräusche der anderen wacht, ein Nachbar, der gegen die Geräusche der anderen besonders „allergisch“ ist und daher umso ungeduldiger auf sie wartet.

Ich lebe im Hinterhof eines elfenbeinfarbenen Gebäudes, schön und ruhig wie die Urnenwand eines Friedhofs. Aber ein hohler Luftzug im Hof verstärkt die Geräusche unseres Lebens, die Geräusche von uns, den Lebendigen. Regelmäßig schlagen sie an die Ohren des Lärmwächters und erlöschen.

Die Wände meiner Wohnung verwandelten sich nach und nach in die Ohren des Feldwebels, des Lärmwächters, nahmen ihre Form und ihre Empfindlichkeit an. Ich selbst wurde zu seiner Soldatin, würge das Lachen meiner Freunde ab, schalte ihre Musik aus, maßregele ihre Stimmen, halte ihnen die Münder zu, nach exaktem Zeitmaß. Wir alle hören uns nur noch mit seinen Ohren.

Unsere Stimmen werden leiser und leiser und leiser, bis nur noch die raue Stimme Hafiz al-Assads zu hören ist.